Innovationen und Trends auf der Agritechnica 2017
Autor: solarstrombauer (Helmut Thomas)
Ein Kommentar von Prof. Dr. Till Meinel, Institut für Bau- und Landmaschinentechnik an der TH Köln, Vorsitzender der Agritechnica-Neuheitenkommission
(DLG). „Das Bessere ist des guten Feind“, viele Landmaschinenhersteller handeln nach diesem Leitsatz und beweisen erneut ihre Innovationskraft mit über 320 Neuheitenanmeldungen im Medaillenwettbewerb zur Agritechnica 2017. Unternehmerischer Weitblick und Risikobereitschaft der verantwortlichen Manager sowie ein großer Ideenreichtum der beteiligten Ingenieurinnen und Ingenieure waren notwendig, um die vorgestellten Neuheiten hervorzubringen.
Neues entsteht auch in unserer Branche nicht zufällig: Ein kreatives Umfeld in den Firmen ist für die Entwickler ebenso notwendig wie das Wissen um die aktuellen Bedürfnisse der Kunden, der Landwirte. Landtechniker müssen Möglichkeiten und Freiräumebekommen, um ihre kreativen Ideen mit viel Erfahrung aus der landwirtschaftlichen Praxis und im ständigen Austausch mit Landwirten und Wissenschaftlern entwickeln zu können. Immer wichtiger wird die echte interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Entwicklungsteams, zum Beispiel von Maschinenbauern, Physikern, Hard- und Softwarespezialisten. Grundlage dieser „echten“ Zusammenarbeit ist, dass sich alle am Projekt Beteiligten gegenseitig respektieren, dass sie trotz ihrerpersönlichen Spezialisierung im jeweiligen Fachgebiet die Überlegungen der anderen Teammitglieder verstehen und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. An dieser Stelle wird die Innovationskultur in den einzelnen Unternehmen sichtbar, die Förderung durch das Management und eine Innovationsstrategie. Denn die Schaffung neuer Lösungen erfordert in den allermeisten Fällen jahrelange Arbeitund erhebliche Investitionen ohne kalkulierbare Rendite.
Einige der vorgestellten Neuheiten weisen weit in die Zukunft und ermöglichen Anwendungen, die sich viele Landwirte heute noch gar nicht vorstellen können. Dies gilt beispielsweise für MARS, die erste kommerziell verfügbare Landmaschine der Schwarmtechnologie. MARS – Mobile Agricultural Robot Swarms von AGCO-Fendt umfasst kleine, etwa 40 kg leichte autonome Maschinen, die durch einen Maschinenführer auf dem Acker „ausgesetzt“ werden und die Maisaussaaterledigen. Der Maschinenführer transportiert sie mit einem Sammeltransport auf das Feld und ist anschließend nur noch für Befüllung und Überwachung zuständig. Die Mitglieder der DLG-Neuheitenkommission diskutierten über diese Innovation sehr ausführlich und kontrovers: Schwer wogen die Fragezeichen der Praktiker gegen die Begeisterung der Ingenieure. Wir dürfen gespannt sein, wie sich dieses Systemam Markt behaupten wird!
SiebenJahre Detailarbeit stecken in Sensosafe, dem direkt am Mähwerk installiertenSensorbalken zum Schutz versteckter Wildtiere, vorgestellt von Pöttinger.Optische Infrarotsensoren mit integrierter LED-Beleuchtung erkennen die Tierewährend des Mähens und senden ein Signal an die Mähwerkshydraulik, die dasMähwerk automatisch aushebt und auf diese Weise die Tiere rettet. Das Systemunterscheidet selbst bei vollem Tageslicht und hoher SonneneinstrahlungWildtiere von anderen Hindernissen, wie z. B. Maulwurfshügeln. Wenn diesesSystem wie vom Hersteller angegeben in der Praxis funktioniert, wäre dies einMeilenstein im aktiven Tierschutz, da alle bisher verwendeten Techniken nichtimmer zufriedenstellend arbeiten. Dieses Projekt zeigt sehr deutlich, wie ernstdie Landmaschinenhersteller ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaftnehmen. Stehen doch Landwirte und ihre Maschinen oft in der öffentlichen Kritikder Medien.
Einweiteres Beispiel für den verantwortungsvollen Umgang mit gesellschaftlichenAnforderungen an die Nutzer von Landmaschinen kommt von Claas: Das „TelematicsLarge Vehicle Alert System“ informiert die Fahrer vernetzter Automobileproaktiv über Position und Status von landwirtschaftlichen Maschinen auf ihrerRoute. Die spannende Frage lautet: Wie reagieren die Automobilhersteller aufdieses Angebot?
Die großeBreite der Neuentwicklungen wird beim Blick auf die Liste der Medaillengewinnerdeutlich. Selbstverständlich setzen sich die wichtigsten Trends derLandtechnikentwicklung der vergangenen Jahre auch 2017 weiter fort: Allen vorandie Weiterentwicklung elektronischer Systeme zur Optimierung derMaschineneinstellung, Verbesserung der Präzision, Prozessautomatisierung, Erhöhungder Sicherheit und Entlastung der Bediener. Mit einer Goldmedailleausgezeichnet wird Cemos Auto–Threshing von Claas, ein vollautomatischesOptimierungssystem für Tangential-Mähdrescher.
Einwichtiger Fokus liegt heute auf der Optimierung des Maschinensystems Traktor-Arbeitsmaschine,wobei ich herstellerübergreifende Lösungen für den Praktiker als besonderswichtig erachte.
BreitenRaum nimmt die effiziente Erfassung, Speicherung und Auswertung von Datenentlang der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette bei denNeuheitenanmeldungen ein. Der richtige Umgang mit diesen Themen ist für diemeisten Landwirte neu und mit vielen Unbekannten verbunden.
ImGegensatz zu vollmundigen Ankündigungen mancher Hersteller stehen wir bei derEinführung der digitalen Landwirtschaft und der Nutzung von Big Data-Technologiennoch ganz am Anfang. Besonders sensibel für europäische Landwirte ist dieKundenbindung an einen großen Hersteller durch die Nutzung seines proprietärenDatenmanagementsystems. Eine Alternative für kleine und mittelständischeBetriebe bietet das mit einer Silbermedaille ausgezeichnete „agrirouter“-System,eine Gemeinschaftsentwicklung mehrerer Hersteller unter Leitung der DKE-dataGmbH.
DieEntwicklung spezifischer Sensoren für Landmaschinen ist nach wie vor ein Trendund ergänzt den Katalog der Neuheiten. Erstmals stellt ein Konsortium um dieFirma Pöttinger ein System vor, das das Bearbeitungsergebnis während der Bodenbearbeitungmisst und die Bearbeitungsintensität aktiv regelt. Dies ist ein mutigerSchritt, gehört doch die Bodenbearbeitung zu den komplexesten Bereichen derlandwirtschaftlichen Verfahrenstechnik.
ElektrischeMobilität ist mittlerweile zum Wahlkampfthema in Deutschland avanciert. Auch inder Landtechnikbranche gab es in den letzten Jahren viele Diskussionen umelektrische Antriebe. Nur wenige kommerzielle Lösungen sind bisher auf demMarkt angekommen. In diesem Jahr präsentiert AGCO-Fendt als Erster einenvollelektrischen Traktor und eröffnet damit ein neues Marktsegment in der 50 kW-Klasse.Mit Sicherheit wird diese Maschine Anwender und Hersteller zu weiteren Ideen fürdie sinnvolle Nutzung elektrischer Antriebe bei Landmaschinen anregen.
Nebenzahlreichen Fortschritten bei elektrischen und elektronischen Systemen zeigenviele Hersteller nach wie vor starke Neuentwicklungen auf traditionellerenTechnikgebieten, wie z. B. Mechanik und Hydraulik. Ein Beispiel ist der miteiner Goldmedaille ausgezeichnete „StalkBuster“ aus dem Hause Kemper. Die inden Mähvorsatz des Feldhäckslers integrierte Mulcheinrichtung zerschlägtMaisstoppeln unmittelbar nach dem Mähen der Pflanzen, bevor die Stoppeln vomFeldhäcksler oder Transportwagen niedergedrückt werden. Dadurch wird derMaiszünsler effizient bekämpft, mechanisch und ohne den Einsatz chemischerMittel. Dieses System lässt neben den praktischen und betriebswirtschaftlichenVorteilen einen hohen ökologischen Nutzen erwarten. Diesem Anspruch genügennoch weitere, mit Agritechnica-Silber ausgezeichnete Neuheiten, die ich hiernicht alle anführe.
Abschließendbringe ich auch im Namen aller Mitglieder der DLG-Neuheitenkommission meineHoffnung zum Ausdruck, dass die Hersteller ihre Zusagen einhalten und alleprämierten Produkte spätestens im Jahr 2018 auf dem Markt verfügbar sind.
Nunwünsche ich Ihnen, liebe Leser, eine interessante Agritechnica 2017 mit gutenGesprächen, vielen Anregungen, einem regen Erfahrungsaustausch und natürlich –begeisternder neuer Technik. Für alle Beteiligten bleibt zu wünschen, dass sichder Kreis aus innovativer Entwicklungsarbeit unserer Ingenieure und praktischemNutzen im Alltag schließt. Hier tragen Sie, die Landwirte, maßgeblich zurEntscheidung bei, ob das Neue auch das Bessere ist, denn nur das Bessere istdes Guten Feind.
Ein Kommentar von Prof. Dr. Till Meinel, Institut für Bau- und Landmaschinentechnik an der TH Köln, Vorsitzender der Agritechnica-Neuheitenkommission
AGRITECHNICA – The World’s No. 1
Die Messe AGRITECHNICA in Hannover ist die internationale DLG-Fachausstellung für Landtechnik. Aussteller aus aller Welt präsentieren auf der AGRITECHNICA Messe Hannover die Neuheiten für die gesamte Agrarbranche. Mit ihrem Angebot an führender Technik und neuen Entwicklungen ist die Messe ein einzigartiges Informationsforum für alle Problemlösungen der Landwirtschaft und Agrartechnik. Die AGRITECHNICA Hannover ist der weltweite Meeting-Point der Landtechnikbranche, auf dem Innovationen präsentiert, Trends gesetzt und Visionen diskutiert werden. Die SYSTEMS & COMPONENTS ist die Spezialmesse unter dem Dach der AGRITECHNICA. Sie bietet eine internationale Plattform zur Präsentation von Systemen und Komponenten für die Landtechnikindustrie und verwandte Industriezweige.
Die erste Agritechnica wurde 1985 auf der Frankfurter Messe veranstaltet. Seit 1995 findet sie alle zwei Jahre im November im Wechsel mit der EuroTier auf dem Messegelände Hannover statt.
Die ersten beiden Messetage (Sonntag und Montag) sind die „Exklusivtage“ der Agritechnica. Diese sind in erster Linie für Besucher aus dem Landmaschinenhandel, Investoren aus dem Agribusiness und für die Fachpresse gedacht und haben daher einen höheren Eintrittspreis. DLG-Mitglieder haben ab dem 2. Exklusivtag an zwei Tagen freien Eintritt. Vom 12. bis 18. November 2017 präsentieren auf der Weltleitmesse für Landtechnik in Hannover führenden Unternehmen der Branche ihre Neuheiten und Innovationen.
An 7 Tagen ist die AGRITECHNICA Bühne für 2.900 Aussteller und bietet in 23 Hallen einen faszinierenden Blick in die Zukunft der Pflanzenproduktion.
Quelle und weitere Informationen über die Agritechnica 2017 sind auch im Internet unter www.agritechnica.com verfügbar.